Julia Lenart

Die Kirche am Steinhof

An den Hängen des Gallitzinberges im Westen Wiens überstrahlt das Hauptwerk Otto Wagners – die Kirche zum Heiligen Leopold am Steinhof – den gewaltigen Komplex des Sozialmedizinischen Zentrums auf der Baumgartner Höhe. In ihrer Unkonventionalität, die Elemente des Jugendstils mit altorientalischen und ägyptischen Formen mischt, bricht das Bauwerk mit jeglichen Traditionen der Kirchenbaukunst. Seiner Faszination konnten sich selbst die größten Kritiker der Sezession nicht entziehen, wie Ausschnitte einer Rezension aus der Neuen Freien Presse vom sechsten Oktober 1907 zeigen:

„So mißlungen uns – als architektonisches Kunstwerk! – die Postsparkasse erscheint, so schwere Befürchtungen man hegen mußte, es werde das geplante Museum der Stadt Wien auf dem Karlslatz zur Ausführung gelangen, so freudig darf man das letzte Werk Otto Wagners begrüßen. In herrlicher landschaftlicher Umgebung erhebt sich, schon von weitem sichtbar, als Krönung einer schlichten, gleichartigen Gebäuden und schönen Gartenanlagen bedeckten Riesenterasse, die schlanke, vergoldete Kuppel der Anstaltskirche.“ (Neue Freie Presse vom 6.10.1907)

Das imposante Altarbild

Pläne für eine neue psychiatrische Heilanstalt

Das Gelände, an dem heute die Kirche am Steinhof steht, war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sehr karg; außer Steinen und Geröll war am Fuße des Gallitzinberges nichts zu finden, weshalb man das Gebiet „Steinhof“ nannte. Auf einer Fläche von einem Quadratkilometer sollte hier um 1900 eine psychiatrische Heilanstalt gebaut werden. Menschen mit psychischen Leiden waren bisher im Narrenturm in Wien untergekommen. Zu dieser Zeit war der Umgang mit psychischen Erkrankungen wenig entwickelt; Betroffene wurden als „geisteskrank“ eingestuft, aus der Gesellschaft ausgeschlossen und weggesperrt. Unter schrecklichen Bedingungen wurden die PatientInnen im Narrenturm gefangen gehalten, teilweise auch angebunden oder geschlagen. Die neue Heilanstalt sollte dieser Praxis ein Ende bereiten und den Erkrankten eine würdevolle Behandlung bieten.

Der nicht unumstrittene Architekt Otto Wagner (1841-1918) bekam den Auftrag und plante unter anderem eine prachtvolle Anstaltskirche, die den Komplex überstrahlen sollte. 1904 wurde in Anwesenheit Kaiser Franz Josefs der Grundstein gelegt.

Eröffnung des umstrittenen Meisterwerkes

Nach drei Jahren Bauzeit war der Krankenhauskomplex fertiggestellt; 61 Pavillons (davon 43 medizinisch genutzt) boten bis zu 5000 Menschen (PatientInnen, ÄrztInnen, PflegerInnen) Unterkunft. Aufgrund der weißen Verkleidungen der Backsteinfassaden bekam die Anstalt den Beinamen „Weißenstadt“. Den gesamten, sich an den Hängen des Gallitzinberges hochziehenden Komplex überstrahlte die Kirche mit ihrem goldenen Kuppeldach. Nicht umsonst bekam der Berg den Beinamen „Lemoniberg“, sticht die glänzende Kuppel doch wie eine Zitrone aus der Landschaft hervor.

Die Anstaltskirche wurde gleichzeitig mit dem Krankenhauskomplex am achten Oktober 1907 eröffnet. Erzherzog Franz Ferdinand ließ bei seiner Eröffnungsrede seiner Missgunst gegenüber Otto Wagners Werk freien Lauf; das Gotteshaus war gar nicht im Sinne des habsburgischen Stils – viel zu untraditionell. Wagner entgegnete daraufhin, dass sie nicht für die habsburgischen Geschmäcker gebaut worden war, sondern für ihre BesucherInnen – die PatientInnen der Heilanstalt. Erzürnt verließ der Erzherzog die Feier und Wagner sollte nie wieder einen Auftrag aus dem Hause Habsburg erhalten (was ihn aber nicht weiter störte).

Eine Kirche für ihre BesucherInnen

Bei der Planung der Kirche ging es Otto Wagner allen voran um Klarheit und Zweckmäßigkeit des Baus. In ihrer Funktion als Anstaltskirche, sollte sie für die Menschen, die sie besuchten (in erster Linie die PatientInnen der Heilanstalt) gemacht sein. Die beeindruckende Funktionalität von Wagners Bau zeigt sich in unzähligen Details.

Eines der Hauptanliegen des Architekten war es, gewissen hygienischen Standards gerecht zu werden, handelte es sich bei dem Bau doch um eine Anstaltskirche; sie sollte leicht zu reinigen sein. Daher verkleidete der die Wände und den Boden mit glattem Carrara-Marmor; die Luster versah er mit einem Griff, um sie herunterziehen und leicht putzen zu können.

Die Kanten der Kirchenbänke sind abgerundet, um Verletzungen zu vermeiden

Die Kirchenbänke haben keine scharfen Kanten, damit sich (unter anderem) Epileptiker nicht verletzen, sollten sie einen Anfall erleiden. Die Weihwasserbecken sind eine weltweit einzigartige Konstruktion; durch einen ausgefinkelten Mechanismus tropft das Weihwasser aus einem Behälter in das Becken, damit die BesucherInnen nicht versuchen, es zu trinken, und um das Becken insgesamt hygienischer zu machen. Die Beichtstühle sind offen gestaltet, sodass die Beichtenden nicht mit Beklemmungsgefühlen zu kämpfen haben. Zudem richtete Wagner zwei separate Eingänge für Männer und Frauen ein (zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte in Krankenanstalten strikte Geschlechtertrennung vor).

Eine Besonderheit, welche die Kirche am Steinhof aufweist, sind die beiden Altäre. Ursprünglich hatte Otto Wagner den Altar so gestaltet, dass der Pfarrer mit dem Rücken zu den Gläubigen steht (wie es bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil 1960 üblich war) und durch ein Loch in der Altarkuppel auf das Gesicht Jesu (des dahinterliegenden Wandmosaiks) blickt. Ein kleines Steingesimse sollte die KirchenbesucherInnen davon abhalten, dem Pfarrer zu nahe zu kommen. In den Sechzigern wurde ein neuer Altar in Auftrag gegeben, der in seiner Schlichtheit im Kontrast zur ansonsten prunkvoll vergoldeten Innenarchitektur steht, der aber Nähe zwischen Pfarrer und Volk herstellt. Drei farbige Steine im Fußgestell des neuen Altars symbolisieren Glaube, Liebe und Hoffnung.

Symmetrie des Kuppelgewölbes

Traditionelle christliche Symbolik sucht man in der Kirche am Steinhof vergeblich (einzig eine goldene Marienstatue – ein Geschenk Kardinal Schönborns – wurde später aufgestellt). Sicherlich haben sich Wagner und seine Zeitgenossen nicht gewissen christlichen Traditionen entziehen können (es handelt sich immerhin um eine Kirche), wie etwa die Wandmosaike, Fenster oder allgegenwärtige Kreuze und Engel zeigen. Die Gestaltung dieser Elemente und des gesamten Baus werden jedoch vom Jugendstil, versetzt mit byzantinischem Einfluss dominiert, was ganz und gar nicht den katholisch-christlichen Vorstellungen von Kirchenarchitektur entspricht. Der Grundriss entspricht in seiner quadratischen Form nicht dem traditionellen Kirchenbau. Außerdem ist die Kirche nicht geostet – der Altar zeigt in Richtung Norden. Trotz heftiger Kritik, stößt dieser Bruch mit der Tradition auf Grund seiner gelungenen Gestaltung nicht ausschließlich auf Ablehnung:

„Trotz der nicht eben bedeutenden Grundfläche, die die Kirche bedeckt, erscheint sie durch die übersichtlichen Proportionen, die einfachen, nicht modernen Formen, welche an Byzantinisches, Altorientalisches anknüpfend, an modernen Gebäuden, die praktischen Zwecken dienen, nicht selten recht unpassend, ja lächerlich sich ausnehmen, sind hier am Platze und werden auch den historisch gebildeten Betrachter durch die Erinnerung an die altchristliche Kunst in die richtige Stimmung bringen.“ (Neue Freie Presse von 6.10.1907)

Einen wahren Eklat lösten die zwei Heiligenfiguren auf den beiden Türmen über dem Eingang aus. Sie stellen den Heiligen Leopold (den Kirchen- und Landespatron Niederösterreichs) und den Heiligen Severin dar – sitzend wie zwei alte Männer, nicht imposant stehend, wie sonst üblich. Nicht wenige erzürnten sich an dieser würdelosen Darstellung.

Beteiligung vieler großer Künstler der Jahrhundertwende

Otto Wagner gestaltete den Großteil der Außen- und Innenarchitektur selbst. Zusätzlich holte er sich Hilfe von einigen der berühmtesten Künstler seiner Zeit. Koloman Moser entwarf die einzigartigen Bleiglasfenster im Jugendstil an der West- und Ostseite der Kirche. Sie zeigen im Osten die sieben geistigen und im Westen die sieben leiblichen Tugenden. Jeweils Sieben Heilige gehen scheinbar auf den Altar zu; alle haben einen Bezug zur Heilanstalt, beziehungsweise zur Krankenpflege (die heilige Theresa, Johannes von Gott, etc.). Umgeben sind die Heiligen von Engeln, die auf der einen Seite die Kreuzigung, auf der anderen die Auferstehung Jesu darstellen – unterstrichen von zwei Bibelversen.

Die sieben geistlichen Tugenden

Kolo Moser hätte auch den Altar entwerfen sollen, doch der Streit mit dem Prälaten der Kirche (Heinrich Swoboda) eskalierte, als der Künstler die Protestantin Ditha Mautner-Markhof heiratete und selbst zum Protestantismus konvertierte. Daraufhin wurde ihm der Auftrag entzogen. Dieser Disput und unzählige Diskussionen führten dazu, dass das Altarbild erst 1911 (vier Jahre nach der Eröffnung der Kirche) fertig wurde. Den Auftrag bekam schließlich Remigius Geyling zugesprochen. Er entwarf das gewaltige Mosaik, welches Jesus Christus umgeben von Heiligen (auch mit Bezug zur Krankenpflege) zeigt.

Die sieben leiblichen Tugenden

Des Weiteren waren unter anderem Othmar Schimkowitz (er gestaltete die Engel über dem Eingang der Kirche) und Richard Luksch (er entwarf unter anderem die Heiligen auf dem Kirchendach) an der Gestaltung der Kirche beteiligt. Der Jugendstil, von dem alle Künstler geprägt waren, ist deutlich in der Formgebung und den vielen Verzierungen zu erkennen.

Die Kirche im Wandel der Zeit

Das Kuppeldach mit dem Heiligen Leopold

Über die Jahrzehnte musste die Kirche am Steinhof einiges erdulden. So wurden etwa die Kirchenglocken im ersten Weltkrieg entfernt, um das Metall für die Produktion von Munition zu verwenden. Erst 2007 erhielt die Kirche neue Glocken. Zweimal wurde die Kirche generalsaniert; einmal in den 1960er Jahren und zuletzt zwischen 2000-2006. Somit ist die Kirche am Steinhof hoffentlich noch viele Jahrzehnte lang ein Zeugnis der Kunst Otto Wagners und seiner Zeitgenossen. Selbst die strengsten Kritiker der Sezession konnten der Otto-Wagner-Kirche ihre faszinierende Wirkung nicht abschreiben. Sie ist und bleibt das Meisterwerk des von vielen Seiten kritisierten Architekten Otto Wagner:

„Im großen und ganzen ein wahrhaft schöner und erhebender Eindruck. Nichts von outrierter Originalitätshascherei um jeden Preis; maßvolle Verwendung der Formen, die in der Architektur seit einigen Lustren üblich geworden sind. Nach vielen interessanten halb- und ganz mißglückten Versuchen zeigt sich hier zum Stil gewordene Eigenart eines bedeutenden und persönlichen Talents. Da muß man den Hut ziehen. Und ist es nicht eine hübsche Ironie des Schicksals, daß so ziemlich das erste vernünftige „sezessionistische“ Gebäude großen Stils in Wien für die – Irrsinnigen gebaut worden ist?“ (Neue Freie Presse vom 6.10.1907)


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