Lenka S.

Roadtrip durch Polen

Nach meinem Austausch in der zehnten Klasse, bei dem ich mich noch kaum für polnische Sprache oder Geschichte interessierte, hatte ich die erste richtige Begegnung mit Land und Leuten Polens bei einem Roadtrip mit meiner Freundin Rosalie. Mit Zug und Bus fuhren wir einmal durch ganz Polen, von Krakau nach Łódź, von Warschau über Gdańsk nach Poznań und Bielsko-Biała. In den ganzen zwölf Tagen zahlten wir nur einmal für ein Hostel, in allen übrigen Städten wohnten wir bei Verwandten und Freunden von Rosis Eltern. Diese Reise machte Polen für mich wirklich unvergesslich: so viel Gastfreundschaft, so viele unterschiedliche Wohn- und Lebenssituationen, so viel schöne Begegnungen.

Das erste Ziel war Tychy, eine – vermutlich zu recht – unterschätzte Stadt in der Nähe Krakaus, doch für uns ein Glücksfall. Mittags besuchten wir die Großmutter Rosis, die in einer Ein-Zimmer-Wohnung in einfachsten Verhältnissen lebt, im Radio läuft Radio Maryja, und uns tischte sie auf, als hätte sie doppelt so viele Gäste.

Alt und neu, Dupstep und Folklore

Abends dann waren wir bereit zu feiern, und Rosis Cousin, bei dem wir auch wohnten, nahm uns mit auf eine Party. Das „Vorglühen“ war schon den Abend wert: Da es in Polen verboten ist, auf der Straße zu trinken, versteckten wir uns in einer dunklen Gasse und mischten Wodka pur mit irgendeinem süßen Getränk in unseren Mündern. Als wir dann bereit waren, gingen wir zum Club, der sich in einem alten Fabrikgebäude aus Backstein befand. Wir erwarteten Disco Polo oder den üblichen Mainstream-Disco-Pop, doch wir bekamen: Gooral. Die polnische Dupstep-Band, die ihren elektronischen Bums mit folkloristischen Klängen aus den Bergen Polens versüßt, begeisterte uns sofort. Wir (und die Party) sind im Musikvideo zu Karczmareczka für immer verewigt.

Als nächstes fuhren wir nach Krakau, zu Rosis Onkel. Dieser wohnt mit seiner Frau etwas außerhalb der Stadt auf einem alten Bauernhof. Wir atmeten teils erleichtert auf, dass Rosis Tante im Moment wegen ihres Rückens im Krankenhaus war, nicht weil wir froh um ihre Krankheit waren, sondern weil wir schon das viele Essen befürchtet hatten, das diese uns sonst serviert hätte. Der Onkel tat zwar auch alles in seiner Macht Stehende, doch hielt sich das noch in Grenzen. Neben der üblichen Touri-Runde durch Krakau fuhren wir mit einem Minibus für umgerechnet einen (!) Euro ins nahegelegene Konzentrationslager Auschwitz, das ich immer wieder jedem empfehle zu besuchen.

Weiter ging es mit dem Zug nach Łódź, wo ich im Herbst kommenden Jahres studieren sollte. Es regnete, Rosis Füße wurden in ihren Ballerinas nass, ohne Insider macht die Stadt nur halb so viel Spaß und sie wirkte im schlechten Wetter noch trister, also fuhren wir weiter nach Warschau. Kein guter Eindruck meiner zukünftigen Heimatstadt, was sich aber zum Glück noch um 180 Grad drehen sollte (s. Blogeintrag Lodz of Lenka).

Chopin und Himbeer-Bier

In Warschau lebten wir bei der jungen Tante und Onkel Rosis, die mit ihren Kindern in einem süßen Reihenhaus mit Rundum-Einbruchschutz etwas außerhalb des Zentrums leben. Highlights: das Kopernikus-Museum, der Łazienki-Park mit Chopin-Konzert und zahmen Eichhörnchen, der erste Besuch in einem polnischen Gottesdienst, bei dem die Menschen vorher Schlange vor den Beichtstühlen standen und alte Omas auf dem nackten Steinboden knieten.

In Gdańsk wohnten wir bei einer alten Kollegin von Rosis Vater, die neben den Gleisen wohnte und deren Häuschen wackelte, wenn ein Zug vorbeifuhr. Eine nette Dame, die uns das Zimmer ihres Sohnes zur Verfügung stellte und uns sonst in Ruhe ließ. Diese Ruhe sieht in meiner Erinnerung so aus: Wir probierten uns durch alle Schokoladensorten und die Himbeerbier-Dosen stapelten sich auf dem Boden unseres Gästezimmers (das ging auch nur mit 20).

Weiter ging es nach Poznań, wo wir wieder bei Arbeitskollegen ihres Vaters wohnten, diesmal in einem Hochhaus, das bei nächtlichem Sturm wackelte und das sehr hellhörig war, und einer Zwei-Zimmer-Wohnung, in der uns das freundliche Pärchen ihr Wohnzimmer überließ.

Lebensveränderndes Reisen

Die letzte Station war bei den Familienangehörigen in Bielsko-Biała, wo wir im (gemütlichen) Keller des Einfamilienhauses schlafen durften. Abends besuchten wir mit Rosis Cousinen eine andere Cousine in ihrem Neubau, es gab Wein und den neuesten Klatsch. Rosi versuchte mir, so gut es ging, zu übersetzen, was gerade Gegenstand der Gespräche war, doch auch sie verzweifelte regelrecht angesichts der Geschwindigkeit der Themenwechsel. Also genoss ich die meiste Zeit einfach den Klang der Sprache und nahm mir vor, diese so schnell wie möglich zu lernen. Es sollte noch ein Jahr und ungefähr drei Monate im Ausland dauern, bis sich ein Schalter umlegte und ich plötzlich verstand.

Diese Geschichte zeigt wieder einmal: Reist, macht Couchsurfing, besucht Verwandte, lernt die Einheimischen  und nicht nur die touristischen Sehenswürdigkeiten und Instagram-Hintergründe kennen! Das sind dann nämlich die Geschichten, die hängen bleiben, die Vorurteile ausmerzen, und die – pathetisch gesagt – Leben verändern können.


Ähnliche Artikel