Lenka S.

Die Polen im Iran während des Zweiten Weltkriegs

Während des Zweiten Weltkriegs fanden mehr als 100 000 PolInnen im Iran Zuflucht, nachdem sie 1939 nach Sibirien deportiert und dort jahrelang unter menschenunwürdigen Verhältnissen zu Zwangsarbeit verurteilt worden waren. Eine interkulturelle Begegnung, aus der wir lernen können.

Über die Familiengeschichte einer Freundin, die ich im Auslandssemester in Krakau kennenlernte, stieß ich auf diesen interessanten historischen Fakt: Während des Zweiten Weltkriegs fanden teilweise jahrelang mehr als 100 000 PolInnen im Iran Zuflucht. Sofort wollte ich mehr darüber wissen, doch es gibt nur wenig Literatur dazu. Also beschloss ich, dies zum Thema meiner Masterarbeit zu machen.

Als 1939 Hitler und Stalin in einem geheimen Protokoll die Teilung Polens beschl0ßen und anschließend auch durchführten, ließ Stalin aus „seiner“ Hälfte über eine Million BürgerInnen egal welchen Berufs, welcher Ethnie oder Religion in die Sowjetunion deportieren. Dort sollten sie in Arbeitslagern, Kolchosen oder Gefängnissen enden, und schon auf dem Weg starben viele, vor allem Kinder, Alte und Kranke.

Die neue polnische Armee unter General Anders

Zwei Jahre später, 1941, geschahen mehrere Dinge: Hitler ließ die Sowjetunion angreifen, der deutsch-russische Krieg begann. Stalin verhandelte daher mit den Alliierten, unter anderem mit der polnischen Exilregierung in London. Diese erstritten die Freilassung der polnischen Gefangenen, welche vor allem über die Gründung einer neuen polnischen Armee erfolgte. Nur durch General Władysław Anders wurden nach längerem Hin und Her auch die Zivilisten freigegeben, zumindest diejenigen, die Verwandte in der Armee hatten.

1942 war es soweit, über 100 000 PolInnen wurden per Schiff über das Kaspische Meer gefahren, traumatisiert, krank und ohne Hoffnung, bis sie das iranische Festland erblickten. General Anders‘ Plan lautete wie folgt: Die geflüchteten PolInnen sollten sich in Iran erholen, bis die wehrfähigen Männer und auch Frauen zur Weiterreise bereit waren. Dann marschierte die Armee über den Irak und Nordafrika nach Italien, wo sie die alliierten Truppen im Kampf gegen die Achsenmächte unterstützte.

Polnische Kultur im Iran

Die Zivilisten unterdessen blieben im Iran, speziell in Teheran und Isfahan. Teilweise blieben sie dort sogar jahrelang. Die Waisenkinder wurden nach Isfahan gebracht, wo sie sich besser erholen konnten, wo die Luft besser war und auch mehr Platz zur Verfügung stand. Die Stadt sollte bald „Stadt der polnischen Kinder“ heißen, über 2000 dieser wuchsen dort in speziell gegründeten, polnischen Einrichtungen auf und konnten so nach den Traumata in Sibirien wenigstens noch einen Teil ihrer Kindheit ausleben.

In Teheran unterdessen gründete man polnische Zeitschriften, schossen polnische Kinos, Geschäfte, Arztpraxen, Schulen empor, PolInnen fanden in Cafés, Restaurants, Hotels Anstellung, in den Fenstern vieler Läden hängten Schilder: Hier spricht man Polnisch! Einige Polinnen intensivierten den interkulturellen Kontakt sogar und gründeten mit Persern Familie.

Spurensuche in aller Welt

Außer für letztere und die Kinder in Isfahan war das Kapitel der Polen im Iran jedoch von kurzer Dauer. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage Irans, das selbst von den Aliierten und der Sowjetunion besetzt war, sowie der Angst vor den heranrückenden Deutschen siedelte man die geflüchteten PolInnen unter anderem nach Afrika, Neuseeland, Mexiko, Palästina und in den Libanon um.

Diese komplexe Geschichte zusammenzufassen ist schwierig, vor allem nachdem ich eine ganze Masterarbeit darüber geschrieben habe. Ich habe auch untersucht, was davon in den Erinnerungskulturen Polens und des Irans hängen geblieben ist. Den Umständen entsprechend nicht viel. Doch sollte man sie nicht vergessen: Die Polen im Iran sind ein Beispiel für eine transnationale Gedächtnisgemeinschaft, aus dieser Geschichte könnte man sich einiges für Integration und Völkerverständigung ableiten.

Mehr Informationen z.B. auf: https://www.aljazeera.com/indepth/features/2017/03/complex-story-polish-refugees-iran-170321100222499.html


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