Julia Lenart

Der Graben

Schon in mittelalterlichen Zeiten herrschte am Graben im Zentrum von Wien buntes Markttreiben. Heute ist er in erster Linie Tummelplatz reicher TouristInnen, die sich in den teuren Luxusläden einkleiden. Seine Gestalt hat sich über die Jahrhunderte stark verändert, aber der Flair ist weitgehend gleich geblieben.

Von der Stadtmauer zum Marktplatz

Zur Römerzeit befand sich dort, wo sich heute Luxuskaufhäuser aneinanderreihen, die Mauer eines Kastells der Römersiedlung Vindobona. Vor dieser lag ein Graben, der bis ins Mittelalter erhalten blieb. Er bot den Burgmauern zusätzlichen Schutz vor Angreifern.

Der große Platz entstand nach der Einebnung der Burgmauern

Erst um 1200 wurde dieser Graben im Zuge einer groß angelegten Stadterweiterung zugeschüttet und eingeebnet. Die Babenberger verlegten die Wehranlage an die heutige Ringstraße. Die alten Mauern und der Graben waren nicht mehr notwendig, weshalb sie abgerissen und eingeebnet wurden. Der Name blieb dem neu entstandenen Platz erhalten: der Graben. Er bot zu jener Zeit eine der größten Hauptverkehrswege durch die Wiener Innenstadt.

Bunter Marktplatz

An dieser Hauptverkehrsstraße tummelten sich ab dem Jahre 1300 diverse HändlerInnen, um ihre Waren feilzubieten. Zu Beginn wurde vor allem Obst und Gemüse sowie Milchprodukte gehandelt. Der Graben erhielt im Laufe der Jahrhunderte aufgrund seiner vielfältigen Marktstände unzählige Beinamen: Grüner Markt, Kräutermarkt, Milchgraben, Kalter Markt, etc. Später siedelten sich BäckerInnen und FleischerInnen am Graben an, um ihre Waren an sogenannten Brot- bzw. Fleischbänken zu verkaufen. Das laute, bunte Markttreiben sollte aber bald Einschränkungen unterworfen sein. Nachdem die BäckerInnen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts kurzfristig verboten waren, mussten die FleischerInnen 1564 auf Befehl von Kaiser Ferdinand I ganz abziehen – aufgrund der Geruchsbelästigung.

Das „Goldene U“ (Kohlmarkt, Graben, Kärntnerstraße) bilden das Zentrum der Wiener Einkaufsgegend

Der Marktplatz stellte eine Gefahr im Falle eines Brandes dar, weshalb schon im 15. Jahrhundert ein Brunnen aufgestellt wurde. Der dem Heiligen Florian (Schutzheiliger der Feuerwehren) geweihte Brunnen diente der Wasserversorgung, vor allem im Falle eines Feuers. Erst im 17. Jahrhundert wurde der zweite Brunnen gebaut. Beide erhielten Statuen: den Heiligen Joseph und den Heiligen Leopold (die Originale aus Stein sind verschollen und wurden im 19. Jahrhundert von Kupferfiguren ersetzt).

Vom Markt- zum Festplatz

Bereits im 15. Jahrhundert wurden am Graben diverse Festivitäten gefeiert. Besonders katholische Feierlichkeiten (wie etwa Fronleichnamsprozessionen) wurden ausgiebig zelebriert, um den sich ausbreitenden Protestantismus zurückzudrängen. In diese Zeit fällt auch die Errichtung der Pestsäule (1679-92). Kaiser Leopold I ließ sie zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit erbauen, als eine Pestepidemie die Stadt heimsuchte. Die Fertigstellung sollte fast dreizehn Jahre dauern. In der gesamten Donaumonarchie wurden in weiterer Folge Pestsäulen aufgestellt. Bei der Pestsäule am Graben fanden später, zu Zeiten Kaiser Karls VI, sogar täglich Messen statt.

Die Pestsäule

Doch nicht nur die Kirche hielt am Graben Feiern ab, auch die HerrscherInnen der Zeit ließen sich hier in Triumphzügen und Huldigungsfeiern huldigen. Im 18. Jahrhundert wurde der Graben zunehmend für festliche Aktivitäten genutzt; es fanden laufend Prozessionen statt. In diesem Rahmen passten sich die Gebäude rund um den Graben an; die Fassaden wurden reichlich verziert. Dazu gehörte, dass Adelige und hohe BürgerInnen, die sich am Graben angesiedelt hatten, Feste gaben, auf denen sich die gesamte Wiener „High Society“ traf.

Gleichzeitig wurde das bisher emsige Markttreiben zunehmend zurückgedrängt, um dem städtischen Leben Platz zu machen. Bereits 1753 wurden Grünwarenhändler vertrieben und 1772 sogar der Christkindlmarkt. Als neu gewonnener Promenadenplatz diente der Graben dem Sehen und Gesehen-werden des Adels und junger Unternehmer. So ließ sich beispielsweise der Buchdrucker Thomas von Trattner hier nieder (im eigens gebauten Trattnerhof).

Stetiger Aufschwung und wachsendes Verkehrsaufkommen

Das 19. Jahrhundert sah große Umbauten am Graben. Beinahe alle Häuser wurden im Laufe dieses Jahrhunderts abgerissen und neu gebaut. Die Fassaden an der Ostseite des Grabens wurden gänzliche abgerissen, womit der freie Zugang zum Stephansplatz möglich wurde. Die Geschäfte, welche sich hier ansiedelten wurden immer luxuriöser und bedienten in erster Linie die Oberschicht. Das bunte Markttreiben des Mittelalters hatte sich schon lange in gehobenes Flanieren und Stolzieren verwandelt.

Seine heutige Gestalt erhielten die Gebäude am Graben im 19. Jahrhundert

Mit der Motorisierung wuchs der Verkehrstrubel am Graben immer stärker an. Waren bisher vor allem Kutschen und Pferdeomnibusse über den Platz getuckert, so wurden diese zunehmend von Autos und Linienautobussen verdrängt. Polizisten mussten den Verkehr regeln. Das taten sie von einem erhöhten Podest aus, welches über die Menschenmengen ragte. Von hier dirigierten sie den massigen Verkehr.

Die Fußgängerzone wurde erstmals in den 1970er Jahren eingerichtet und von da an schrittweise erweitert. Im Rahmen des U-Bahn Baus am Stephansplatz konnte der Verkehr nicht mehr passieren.

 

Heute ist der Graben eine der belebtesten und teuersten Einkaufsstraßen Wiens. Gemeinsam mit dem Kohlmarkt (im Westen) und der Kärntnerstraße (im Osten) bildet er das „Goldene U“ der Wiener Einkaufsszene. Tausende Touristen (und Einheimische) tummeln sich hier täglich. Das bunte Markttreiben des Mittelalters findet hierin in gewisser Weise seine Fortführung.


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