Lenka S.

Schatzsuche in Łódź

Der folgende Text ist einer meiner Geschichten entnommen. Diese spielt in Łódź und handelt von den „Unterirdischen Seen“, nach denen die Protagonistin und die halbe Stadt auf der Suche sind. Dieses Abenteuer stellt sich bald als gefährlicher heraus als angenommen. Die „Unterirdischen Seen“ und die Stadt Łódź haben eine aufregende gemeinsame Geschichte, von der der folgende Ausschnitt erzählt.

Ausschnitt aus dem Kapitel: „Das Boot“

Von einem Tag auf den anderen war den Menschen eine wichtige Lebensgrundlage entzogen worden, nicht umsonst heißt es ja so schön: Wasser ist Leben. Dieser Ausdruck sollte bald zu „Wasser isst Leben“ werden, doch das konnten die Lodzer noch nicht ahnen, als sie eines Morgens feststellten, dass ihr Fluss vom Erdboden verschwunden war.

Kurz darauf setzten die Verschwörungstheorien ein und es begannen die ersten Expeditionen in den Untergrund. Neben den obligatorischen Wissenschaftlern und Abenteurern vor allem aus Preußen und Russland, die einfach nur wissbegierig waren, machten sich auch die ärmsten der Armen auf den Weg in der Hoffnung, die alle Goldgräber antreibt. Denn Gold war es, was sie sich zu finden erhofften: Die Rede war von einem der größten Schätze der letzten Jahrhunderte, welcher sich inmitten eines der unterirdischen Seen befände. Warum genau man erst mit dem Verschwinden des Wassers darauf kam, tief unter Łóeinen Goldschatz zu vermuten, ist unbekannt. Es hatte sich jedenfalls herumgesprochen, und hätte es damals schon Reisebusse gegeben, diese wären in dreifachen Reihen auf den Busparkplätzen gestanden und alle bis hin zu den Busfahrern hätten sich mit Schaufeln auf den Weg gemacht.

Ein regeres Treiben herrschte weder davor und nie mehr danach auf der Piotrkowska. Die Kneipen waren gefüllt mit philosophierendem, argumentierendem, verschwörerischem, aufklärendem, geheimnisvoll erzählendem, prahlendem, warnendem Geflüster, Geschrei, Getuschel, Geplärre, Gemunkel und Gestöhn. Teilweise sah man in den verrauchten Räumen nicht mehr als sein direktes Gegenüber, die Luft war getränkt vom Schweiß, den alkoholischen und sonstigen körperlichen Ausdünstungen, Zigaretten- und der feineren Herren Zigarrenrauch; es roch nach pierogi, Schweinebraten und anderen, den großen und kleinen Hunger stillenden Gerichten. Man kochte nicht nur in der Wirtshaus-, sondern auch in der Gerüchteküche. Deren Köche bereiteten so unterschiedliche Menüs zu, dass viele Gäste erst den Überblick und dann den Appetit verloren. Es war nämlich so, dass über all der Festivalstimmung, die über die Stadt gekommen war, welche davon kurze Zeit gut lebte und mit sich selbst im Reinen war, man den Umstand vergessen hatte, dass niemand den Weg zu den Seen und zum Schatz wirklich wusste. Die Menschen verhedderten sich in all den Anleitungen, die roten Fäden wurden zum Knäuel und von den herumstreunenden Katzen, die das Geheimnis kannten, bewusst zerrissen.

Irgendwann verloren die Menschen die Geduld und Lust, weiterhin nach einem vermutlich nicht mal existierenden Schatz zu suchen. Viele hatten in der anregenden Atmosphäre der „Schatzsuche von Łódź“ neue Geschäftsbeziehungen, Abenteuergefährten, Arbeit, Partner und Partnerinnen gefunden, die sie für die Strapazen durchwegs entlohnten. Und so reiste allmählich ein Reisebus nach dem anderen ab und bald war sie wieder wie leergefegt, auf den Straßen zeugten nur noch weggeworfene Schaufeln, Zigarettenstummel, Scherben und Erbrochenes von dem Rausch der letzten Wochen. Łówar wieder der seelenlose Ort, den die meisten in ihr sahen.

[…]

Nachdem die Suche nach dem verlorenen Wasser bisher hauptsächlich von armen Webern, Arbeitern, Heimatlosen und Abenteurern durchgeführt worden war, interessierten sich plötzlich auch die reichen Lodzer für diese ominösen Seen und vor allem den Schatz. Bisher hatten sie verächtlich auf das vor sich hin wuselnde, arme Fußvolk geblickt, diese armen Schlucker, die sich abends in den Kneipen mit Geschichten überboten und sich höchstens zwei piwo und ein paar Löffel barszcz leisten konnten, bevor sie wieder in ihre Ein-Zimmer-Wohnung zu ihrer hässlichen Frau mit den sechs Kindern mussten, um am nächsten Tag dasselbe, erbärmliche Spiel von vorne zu beginnen. Ja, was hatten sie nicht herzlich gelacht in ihren Salons, bei den Soirees mit den Frauen, in die teuersten Stoffe gehüllt und mit den schwersten Edelsteinen behängt, und mit den Männern, genauso gut angezogen und teuerste Zigarren schmauchend.

Dieser Pöbel, der doch immer wieder irgendwelchen dummen Geschichten glauben will, treibt es diesmal eindeutig zu weit, schimpften die einen. Dann lasst uns diese Stimmung doch ausnutzen, schlugen die anderen Hände reibend vor. Was, wenn es doch wahr ist?, fragte der Mann, der an diesem Abend Gastgeber war. Die Menge verstummte. Einige Damen fingen an, hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln. Das war ungewöhnlich: Ausgerechnet er, der zu den wohlhabendsten Fabrikanten der Stadt zählte, war nicht abgeneigt, diesen Fabeln des Volkes Glauben zu schenken? Ausgerechnet er, der zu den innovativsten, am fortschrittlichsten denkenden, rationalen Köpfen von Łódź gehörte?

Hades soll hier sein Name sein, und um ihn rankten sich Legenden. Nicht nur konnte er Männern ein guter Freund, unzerstörbarer Trinkkumpane, ernstzunehmender Geschäftspartner sein, er galt vor allem unter den Frauen der Oberschicht als einer der schönsten Männer von Łódź, wenn nicht sogar von ganz Polen. Selbst die Arbeiterfrauen der Stadt entflohen hin und wieder ihrem grauen Alltag und träumten sich in seine Arme – oder auch nur in seine Nähe. Hades hatte dicke, pechschwarze Locken, so schwarz wie der Rus, der aus den Schornsteinen der Fabriken auf die Dächer und Straßen fiel, der im Winter den Schnee und im Sommer die Kleider der Damen schwarz färbte. Seine Augen waren von einem Grün, das an einen tiefen Bergsee erinnerte, in dem man sich entweder erfrischen oder darin für immer untergehen konnte. Sein Bart war zu jederzeit perfekt gestutzt, man munkelte, dass er extra einen Barbier angestellt hatte, der ihn jeden Tag schnitt und pflegte, denn er war laut einigen weiblichen Quellen so weich wie Watte. Weibliche Quellen gab es genug, in seinen wilden Zeiten, so hieß es, habe er sieben Frauen in der Woche glücklich gemacht. Eine Schar von Verehrerinnen, von denen jedoch keine einzige behaupten konnte, abgesehen vom Liebeskummer habe er ihr nicht einmal ein ungutes Gefühl oder den Grund zu Tränen geliefert. Nein, er sei der vollendete Gentleman, kein böses Wort ließe sich über ihn finden.

[…]

Die Frage, ob an der Schatzsuche des „Pöbels“ nicht doch etwas Wahres dran sein könnte, wurde zunächst allgemein als rhetorisch und damit als salonfähigen Spaß aufgenommen. Doch die anwesenden Herren machten sich auf ihrem Nachhauseweg Gedanken: Was, wenn Hades, der doch etwas von der Welt und auch vom niederen Volke verstand, etwas wusste, das er uns nicht verraten wollte? Was, wenn es doch wahr war? Was, wenn nur ich der Einzige bin, der an dem Wettlauf nicht teilnimmt, und am Ende auch derjenige bin, über den man lachen wird, da nur ich keinen Anteil am Schatz bekomme oder die Seen nicht gesehen habe?

Mode ist Mode, man hatte mit ihr zu gehen oder damit zu rechnen, bei Nichtbeachtung zum Gespött zu werden. Nein, verspottet werden wollte niemand, und daher begann am nächsten Tag eine neue, noch größere und intensivere Schatzsuche: Die Reichen ließen ihre Untergebenen die Schaufeln der Armen übernehmen, ließen sie die besten Schatzkarten, Wegbeschreibungen und Geschichten ausfindig machen. Dass die Untergebenen der Reichen selbst zum „einfachen“ Volk gehörten, war den meisten nicht ganz klar, und so ergab es sich, dass diese „Einfachen“ sich zusammenschlossen und ihren Herren die tollsten Geschichten und Abenteuer erzählten, denen sie nachgegangen waren, immer in vermeintlicher Konkurrenz zu den anderen, versteht sich, doch zu ihrer aller Bedauern keinen See und erst recht keinen Schatz am Ende des Weges fanden. Das viele Geld und die Ressourcen, die die Fabrikanten in die Suche und in ihre Diener gesteckt hatten, ging seltsamerweise auf diesen Abenteuern verloren, niemand konnte sich erklären, wohin – doch die Wirte und Prostituierten der Stadt machten in diesen Wochen wieder einmal das Geschäft ihres Lebens.

Derweil hatte Hades dem Treiben mit zunächst erstaunter Miene und bald einem verächtlichen Lächeln zugesehen. Welcher diabeł war denn in alle gefahren; erst schimpften und lachten sie über das ach so dumme Volk, und nun verhielten sie sich genauso? Hades hatte durch seine Aufenthalte schnell herausgefunden, dass die Diener ihre Herren gehörig verschaukelten, und er hatte so viel wie selten zuvor gelacht. Doch dann kam jener Morgen, der für ihn alles verändern und auch die Zukunft der Stadt in einer Weise prägen sollte, die er sich in diesem fröhlichen, unbeschwerten Moment niemals hätte vorstellen können und wollen.

Vielen Dank an Wenedi.eu und vor allem Krystyna Szwandowska-Antol für die Chance, hier etwas schreiben zu dürfen. Ich hoffe, meinen LeserInnen hat das Lesen ebenso viel Spass gemacht wie mir das Schreiben, und so bleibt mir nur noch eins zu sagen: Do zobaczenia!


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