Julia Lenart

Das Burgtheater

Das Burgtheater an der Wiener Ringstraße zählt zu den größten Theatern im deutschsprachigen Raum. In seiner Geschichte hat es stets versucht, den zeitgenössischen politischen Verhältnissen zu trotzen – mit unterschiedlich großem Erfolg.

„Diese Bühne galt und gilt noch immer für die erste Deutschlands, sowol was die Trefflichkeit der Schauspieler und des Zusammenspielens, als was die Reinhaltung des Repertoires anbelangt.“ (Beschreibung des Burgtheaters aus dem Jahre 1849)

Das Burgtheater heute

Die Anfänge des Theaters in Wien

Das erste feste deutsche Theater wurde 1712 am Kärntnertor eingerichtet (daraus entwickelte sich später die Staatsoper). Anfangs wurden hier noch Burlesquen und Possen gegeben. Das waren zumeist komische und derbe Volksstücke, die mitunter sowohl Adel als auch Bürgertum karikierten. Mit der aufkommenden Zensur wurden diese Stücke ab den 1730er-Jahren zunehmend aus dem Theater verbannt. Das Extemporierverbot entzog dem beliebten Burlesque-Theater seine Grundlage. Dieses baute auf Improvisation auf, das heißt, dass den SchauspielerInnen zwar eine ungefähre Handlung vorgegeben war, dessen genaue Ausformungen sich aber aus dem Stehgreif entwickelten. Dies konnte man natürlich nur schwer kontrollieren, weshalb diese Praxis verboten wurde. Die vielgeliebte Figur Hanswurst musste in den Prater auswandern (nach ihm ist der Wurstelprater benannt).

Unter Kaiserin Maria Theresia wurde das Theater zu Beginn der 1740er-Jahre ins Ballhaus am Michaelaplatz verlegt und hieß ab sofort Theater nebst der Burg (da es sich in nächster Nähe zur Hofburg befand). Im Ballhaus wurde bisher das beliebte Ballspiel Jeu de Paume praktiziert, ein Vorläufer des heutigen Tennis. Der Adel war dem Spiel müde geworden; man suchte nach neuer Unterhaltung und ein Theater schien eine gute Option zu sein.

Das Theater in der Zeit der Aufklärung

Das Theater erlebte im 18. Jahrhundert durch den Geist der Aufklärung, der über Europa zog, einen starken Wandel. Bisher hatten sich die Vorstellungen auf französische und italienische Werke (in Originalsprache) konzentriert, da diese die Sprachen des Adels waren – und das Theater sollte dem Adel vorbehalten sein. Unter Joseph II wurde diese Tradition gelockert; er ließ Werke übersetzen und in deutscher Sprache aufführen, um dem Volk den Zugang zum Theater zu ermöglichen. Eine bedeutende Neuerung, die Joseph II darüber hinaus einführte, war der sogenannte Wiener Schluss. Zu viele Werke enden tragisch, was der Kaiser seinem Volk nicht zumuten wollte; die BesucherInnen sollten die Vorstellungen guten Gemütes verlassen. Daher ließ er alle Stücke so umändern, dass sie glücklich endeten – auch Romeo und Julia lebten in der Wiener Version glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage. Eine weit wichtigere Reform, die von Joseph II ausging, war die Aufhebung der Zensur. Als aufgeklärter Kaiser ließ er dem Theater wieder mehr Freiraum. Er lockerte die Zensur und trug damit einen wichtigen Teil zur Entwicklung der österreichischen, aufgeklärten Literatur bei.

Das Ballhaus wird zu klein

Durch unzählige Umbauarbeiten war das Ballhaus gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zu klein und zu verwinkelt geworden. Die SchauspielerInnen mussten sich auf den Fluren zwischen den Requisiten umziehen, da weder Lagerräume noch Garderoben verfügbar waren. Der generelle Zustand des Gebäudes war inzwischen höchst baufällig geworden.

Die Bühne(ntechnik) ist noch heute das Herzstück des Burgtheaters

Die Architekten Gottfried Semper und Karl Freiherr von Hasenauer erhielten den Auftrag, im Rahmen des prachtvollen Ausbaus der Ringstraße, ein monumentales Theater zu bauen, welches dem gegenüberliegenden Rathaus und dem nahegelegenen Parlament in nichts nachstehen sollte. Dies gelang den beiden, obgleich ihre Ansichten von der Funktion des Bauwerks stark divergierten. Semper war an der Funktionalität des Hauses gelegen: er wollte ein Theater für das Volk errichten. Hasenauer im Gegensatz wollte das Gebäude möglichst prunkvoll für den Adel gestalten. Besonderen Einfallsreichtum verlangte die Planung der Lüftung von den beiden Architekten ab. Der Kaiser wollte im Zuschauerraum den Duft der Rosen aus dem anliegenden Volksgarten riechen, weshalb ein Tunnel gegraben wurde, durch den die Luft direkt aus dem Garten in den Saal geleitet wurde. Die verbrauchte Luft entweicht durch die Figur des Blasius, der am Dach des Hauses thront.

1888 wurde der Bau feierlich eröffnet. Das Ergebnis des Baus war zwar optisch vielversprechend, doch die Funktionalität ließ zu wünschen übrig. Die von Semper geplante Lyraform des Zuschauerraumes sorgte dafür, dass die ZuseherInnen in den Logen kaum auf die Bühne sehen konnten. Die kuppelförmige Decke war eine akustische Katastrophe. Bald spottete man:

„Im neuen Parlament hört man nichts, in der neuen Oper sieht man nichts und im neuen Burgtheater hört und sieht man nichts!“

Die prunkvolle Gestaltung

Das Burgtheater war nichts desto trotz ein Vorreiter technologischer Entwicklungen; man wollte dem Publikum die spektakulärsten Vorstellungen bieten, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts möglich waren. Vollständige elektrische Beleuchtung und vielmehr die voluminöse Bühnentechnik sollten das Theater einzigartig in Europa machen.

Die Erzherzogstiege, heute Landtmannstiege

Prunk durfte an einem der größten und modernsten Theater Europas natürlich nicht fehlen. Auf beiden Seiten der Bühne waren Prunkstiegen für den Kaiser angebracht worden – in erster Linie, um mit der Größe des gegenüberliegenden Rathauses mithalten zu können. Die Erzherzogstiege befindet auf der linken Seite des Theaters (heute: Landtmannstiege, weil sie dem Café Landtmann zugewandt ist) und die Kaiserstiege (weil dem Kaiser vorbehalten) befindet sich auf der anderen Seite, dem Volksgarten zugewandt. Für die Gestaltung der Deckengemälde wurden die damals aufstrebenden Künstler der Künstlerkompanie beauftragt: Franz Matsch, Ernst und Gustav Klimt. In ihren Werken stellten sie Szenen aus berühmten Theaterstückender Theatergeschichte nach. Auf der Landtmann-Seite sind antike Stoffe eingearbeitet, auf der Volksgarten-Seite befinden sich die berühmten Malereien des Globe Theaters in London (Romeo und Julia wird dargestellt), sowie eine Darstellung des Eingebildeten Kranken von Molière (ein Lieblingsstück von Franz Matsch). In letzterem Gemälde haben sich die drei Künstler der Künstlerkompanie selbst im Zuschauerraum portraitiert – es ist das einzige Selbstportrait Gustav Klimts. Kaiser Franz Joseph I war so begeistert von der Arbeit, dass er den Künstlern das Goldene Verdienstkreuz verlieh.

Eines der Deckengemälde

War die Benützung der Prunkstiegen bis ins 20. Jahrhundert dem Kaiser vorbehalten, so sind sie heute für jede(n) zugänglich, der/die eine Karte für die Vorstellung besitzt. An ihrer Pracht haben sie über die Jahrzehnte nichts eingebüßt.

Das Theater während des Zweiten Weltkrieges

Die beiden Weltkriege warfen dunkle Schatten über die Geschichte des Burgtheaters. Besonders unter dem NS-Regime litt das Theaterleben in Wien nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938. Jüdinnen und Juden wurde das Betreten der Theater verboten, was dem Burgtheater einen erheblichen Besucherschwund einbrachte.

Schon vor dem Anschluss hatten es jüdische MitarbeiterInnen nicht leicht. Ab März 1938 wurde der Gegenwind stärker; um weiterhin am Theater arbeiten zu dürfen, musste man Mitglied bei der Reichstheaterkammer sein. Voraussetzung war natürlich, dass man arischer Abstammung war. Wer diesen Kriterien nicht entsprach, wurde mit sofortiger Wirkung entlassen. Der neue Burgtheaterdirektor Mirko Jelusich wurde direkt von Berlin aus entsandt, um schon am Tag nach dem Anschluss den bisherigen Burgtheaterdirektor Hermann Röbbeling zu ersetzen; er trat seinen Dienst in SA-Uniform an. Auf Anleitung der Berliner Regierung veranlasste er die Entlassung unzähliger jüdischer und politisch unliebsamer SchauspielerInnen und MitarbeiterInnen. Die Flucht ins Ausland war für viele Theaterschaffende keine Option, waren die meisten doch an die deutsche Sprache gebunden und hätten im fremdsprachigen Ausland keinerlei Verdienstmöglichkeiten gehabt. Der Gedanke, die Heimat zu verlassen, schmerzte viele. Doch die Hoffnung, dass Prominenz vor der Deportation schützen würde, sollte sich für die wenigsten unter ihnen erfüllen. Die Entlassungswelle stellte dennoch keine existentielle Bedrohung für die Erhaltung des Spielbetriebs im Burgtheater dar. Die freigewordenen Stellen wurden mit folgsamen oder regimetreuen KünstlerInnen nachbesetzt, welchen sich nun strahlende Karrierechancen boten. Eine allzu einfache schwarz-weiß Zeichnung der SchauspielerInnen am Burgtheater während der NS-Zeit verfehlt jedoch die Realität. SchauspielerInnen, die arischer Abstammung waren, waren keineswegs ausnahmslos unkritische Unterstützer des Regimes. Die meisten arrangierten sich einfach mit den Verhältnissen, um weiterarbeiten zu können. Viele nutzten ihren Status sogar aus, um jüdischen KollegInnen, FreundInnen und EhepartnerInnen vor der Deportation zu bewahren.

Das NS-Regime übte nicht nur auf die Belegschaft, sondern auch auf den Spielplan starken Einfluss aus. Unzählige Stücke durften aus politischen Gründen nicht mehr aufgeführt werden; darunter litten vor allem jüdische und regimekritische AutorInnen. Es wurden ausschließlich völkische Stücke aufgeführt, die mit der politischen Ideologie der Nationalsozialisten vereinbar waren.

Die NS-Zeit warf tiefe Schatten auf das Burgtheater

Wiederauferstehung des Burgtheaters

Der Schauspielbetrieb war bereits im Februar 1945 eingestellt worden, da man das Heizmaterial beschlagnahmt hatte (man brauchte es anderswo). Gegen Ende des zweiten Weltkrieges wurde das Burgtheater bei einem Brand stark beschädigt. Die Aufbauarbeiten dauerten fast zehn Jahre und in der Zwischenzeit wurde der Theaterbetrieb ins Ronacher verlegt. Dabei wurden die Baufehler der Architekten Semper und Hasenauer wieder ausgeglichen: die Sicht und die Akustik wurden deutlich verbessert.

Wenige Monate nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages, im November 1955 wurde das Burgtheater am Ring mit der Aufführung von Grillparzers König Ottokars Glück und Ende feierlich wiedereröffnet. So hoch gefeiert wurde in der Geschichte des Theaters kaum eine Eröffnung eines Schauspielhauses. Die Auferstehung des Burgtheaters stand sinnbildlich für das Auferstehen der Republik aus den Trümmern des Krieges und der diktatorischen Herrschaft.

Noch heute ist das Burgtheater eines der wichtigsten Theaterhäuser Europas.


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